Sonja Pikart berichtet aus Wellington (Neuseeland)
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Im Juni flog ich nach Wellington, wo ich sechs Monate in einer Gastfamilie lebte und zur Schule ging. Mein halbes High School Jahr war eine der schönsten Erfahrungen meines Lebens und ich werde sie nie vergessen. Neuseeland ist mir so sehr ans Herz gewachsen, dass ich auf jeden Fall noch einmal dorthin zurückkommen möchte.

Meine Erwartungen und mein heutiger Eindruck unterscheiden sich natürlich in einigen Dingen, obwohl sie sich auch in Vielem überschneiden. Ich fange am besten mal mit meinen Gedanken vor Abflug an:


VORHER

Die Entscheidung für ein halbes Jahr nach Neuseeland zu gehen, war mal wieder einer meiner spontanen Begeisterungsstürme gewesen. Ich hatte mir jeden Tag Prospekte angesehen, lange mit meinen Eltern geredet, um sie von der Idee zu überzeugen und war eigentlich die ganze Zeit über vollkommen sicher gewesen, dass es genau das war, was ich wollte. Das war es auch, allerdings hatte ich vor lauter Begeisterung ganz vergessen, dass es ja auch ein sehr großer Schritt war, für eine so lange Zeit von zu Hause wegzugehen. Einige Wochen vor Abflug wurde mir dies erst allerdings richtig bewusst und ich fing an darüber nachzudenken, was ich mir eigentlich von meinem High School Halbjahr erhoffte.

Natürlich fielen mir da zuerst die Dinge ein, auf die ich mich schon von Anfang an gefreut hatte: neue Leute kennen lernen, ein anderes und zudem noch unglaublich schönes Land sehen, auf eine andere Schule gehen und mein Englisch verbessern. Darüber hinaus gab es allerdings noch eine Reihe weiterer Vorstellungen, die ich zu diesem Zeitpunkt von meiner Zeit in Neuseeland hatte:
Ich hoffte, durch die völlig neuen Erfahrungen, die man in dieser Zeit macht, selbst ein bisschen reifer zu werden. Mir war es wichtig zu lernen, die Dinge mal aus einem anderen Blickwinkel sehen zu können. Ich hatte mir auch irgendwie vorgestellt, als ,neuer' Mensch zurückzukommen, da dies ja häufig über einen Schüleraustausch gesagt wird. Wusste nur noch nicht ganz, wie das funktionieren sollte...

Abgesehen davon war es mir wichtig zu sehen, wie Menschen am anderen Ende der Welt eigentlich so leben. In Deutschland weiß man ja doch relativ wenig über Neuseeland. Das stellte ich vor allem bei meinen Mitschülern fest, die mich Dinge fragten, wie: „Spricht man da Englisch?“, „Das ist doch in der Nähe von Kanada, oder? Ach, war das Neufundland?!".

Es interessierte mich natürlich auch total, was die Neuseeländer so über Deutschland wissen bzw. denken. So konnte man alles vielleicht mal mit anderen Augen sehen.

Insgesamt muss ich allerdings sagen, dass es doch sehr schwer war, sich überhaupt ein Bild darüber zu machen, wie meine Zeit dort wohl sein würde. Alles, was einem vorher so erzählt wird, sei es von Retournees oder von Lehrern, kann man sich nicht wirklich auf die Praxis übertragen vorstellen. Was war es denn genau, dass ein Austauschjahr so besonders machte? Was waren die Erfahrungen, von denen alle redeten? Und wie würde ich mich verändern?

Dies war doch alles eher schwammig ausgedrückt, so dass ich mir schlussendlich dachte: „Lass einfach mal alles auf dich zukommen!"


NACHHER

Wenn ich jetzt an mein Austauschhalbjahr zurückdenke, denke ich immer noch, dass es eine der besten Entscheidungen meines Lebens war.

Es hat mich insgesamt weiter gebracht, da ich die Gelegenheit hatte zu erfahren, wie Menschen in anderen Ländern zusammen leben und wie sie manche Dinge vielleicht anders machen, als in Deutschland. Dies war für mich eine unheimlich wichtige Erfahrung, da man sehr viel weltoffener und ein bisschen lockerer wird. Vieles nimmt man nicht mehr so furchtbar ernst. Allerdings muß ich zugeben, dass die Erfahrungen, die man im Gastland macht, nicht zwangsläufig immer angenehm sein müssen. Der Weg zum ,neuen Menschen' ist gar nicht so einfach. Darüber denkt man vorher nie wirklich nach, da man ja glaubt, es geht schon irgendwie von selbst...

Aber natürlich merkt man an einem gewissen Punkt, dass man in einigen Eigenschaften schon ein bisschen anders ist, als die Neuseeländer. Das kann eben auch schon mal zu Konflikten fuhren und man hat das Gefühl, dass niemand einen versteht. Zum Beispiel ergaben sich doch einige Probleme mit meiner Gastmutter, wenn sie meinte, in Deutschland hätten alle ganz furchtbare Manieren, da man hier Teelöffel fürs Dessert verwendet, anstatt Esslöffel, wie in Neuseeland. Auch ich hatte Schwierigkeiten, mich an ihre permanente Unpünktlichkeit zu gewöhnen (insbesondere bei meinem Rückflug...). Aber wahrscheinlich sind es gerade diese Konflikte, an denen man auch wächst. Man sieht sein eigenes Herkunftsland aus einer anderen Perspektive und wird sich vielleicht über Dinge bewusst, über die man vorher nie nachgedacht hatte (z.B. dass uns Deutschen ja nachgesagt wird, wir seien immer so übertrieben pünktlich).

Mal abgesehen von kulturellen Unterschieden, ist es natürlich auch eine ganz neue Erfahrung einfach mal in einer anderen Familie zu leben, die ja andere Lebensumstände und auch Gewohnheiten hat. Meine Familie achtete zum Beispiel beim Einkaufen sehr aufs Geld, wohingegen ich es gewohnt war, einfach alles in den Wagen zu schmeißen, ohne lange auf Preisunterschiede von einigen Cents zu achten.

Darüber hinaus muss man sich auch an die Lebensweise der Kiwis gewöhnen, was insbesondere deren Einstellung gegenüber dem Winter betrifft. Wenn man Zentralheizung gewöhnt ist und dann ein halbes Jahr in einem Haus lebt, das gerade mal einen kleinen Heizlüfter hat, gibt es schon Situationen, in denen man irgendwie gar nicht mehr tolerant und weltoffen sein will (z.B. wenn man sich gerade drei Schlafanzüge übereinander angezogen hat und immer noch friert).

Aber nach einer Weile fängt man an, die Gewohnheiten und Eigenschaften der Kiwis unbewusst zu übernehmen. So gewöhnt man sich an alles, was einem anfangs vielleicht sehr seltsam vorgekommen ist. Wenn man um fünf Uhr am Flughafen sein muss, sagt man seiner Gastmutter eben, Abflugzeit wäre halb fünf (man kommt dann garantiert um fünf an!); sinkt die Raumtemperatur unter 8°C, füllt man sich abends eben ein kleines Wärmflaschen-Arsenal ab, usw.

Und wenn man sich dann gerade so daran gewöhnt hat und sich eigentlich richtig zu Hause fühlt, kommt dann die nächste Schwierigkeit: irgendwann muss man ja mal wieder zurück!

Bevor ich nach Neuseeland ging, hatte man mir immer wieder vom sogenannten 'Kulturschock' erzählt, der mich wohl dort treffen würde. Im Nachhinein muss ich sagen, dass der Kulturschock, den man erfährt, wenn man wieder zurück nach Deutschland kommt, viel größer ist! Plötzlich sieht man sein Heimatland, dass einem ja immer noch vertraut ist, mit ganz anderen Augen. Man hat so viel in den letzten sechs Monaten erlebt, doch scheinbar hat sich in Deutschland nichts verändert. Sich daran zu gewöhnen, ist schon ziemlich schwierig. Andere Dinge haben sich vielleicht stark verändert: Freunde, die man früher hatte, haben sich inzwischen mit anderen Leuten angefreundet, in der Schule hat man ja auch einiges verpasst, man hat jetzt eine rosa Wand im Zimmer (werd' ich meinen Eltern nie verzeihen!). Die Anpassung ist auch hier dann wieder schwierig. Aber sie bringt einen auch teilweise weiter. Zum Beispiel weiß man jetzt, wer die wirklichen Freunde sind.

Ob man ein ‚neuer Mensch‘ wird, bezweifle ich allerdings. Man lernt viel dazu und wird auch wohl insgesamt reifer, aber diese Entwicklung als völlige ‚Kehrtwende‘ zu bezeichnen, wäre auch übertrieben.

Insgesamt macht man also während eine Austauschjahres unglaublich viele Erfahrungen. Natürlich kann ich hier ja nur für mich sprechen. Gerade deswegen kann ich jedem dazu raten, sich für ein Austauschjahr zu entscheiden, viele Eindrücke mitzunehmen und seine eigenen Erfahrungen zu machen!