Lancaster: Selin Akgöz berichtet aus Lancaster, Morecambe (England)
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England September-Januar

Schon Monate vor meiner Abreise erfüllte mich das Gefühl unbeschreiblicher Vorfreude. Manche machen ein Auslandsjahr (beziehungsweise Halbjahr) weil sie die Idee cool finden und die Sprache lernen möchten, ich machte es, weil es mein allergrößter Wunsch war in England – ja gerade in England – zu leben und ein neues Leben beginnen zu können. So verging der Sommer recht schnell und schon saß ich am 1. September im Flieger nach Manchester, wo meine Reise beginnen sollte. Von dort aus ging es weiter nach Morecambe, einer Stadt weiter nördlich, mit 45 Tausend Einwohnern und direkt am Strand. Die Aufregung war groß als ich meine Welcome Familie kennen lernen durfte, die gerade mal drei Minuten von der Promenade entfernt wohnt. Dass ich meine erste Woche in einer Welcome Familie verbringen musste, geschah, weil meine eigentliche Gastfamilie noch im Urlaub war. Das dämpfte die Euphorie natürlich ein wenig, machte mir im Endeffekt jedoch keine Probleme. Was mir eher Probleme machte war meine Schule. Mit meiner besonders kleinen Schule, die nicht sonderlich nah an meinem vorrübergehendem noch eigentlichem zu Hause war, deren Schüler nicht auf einer Wellenlänge mit mir waren und wo generell nichts stimmte, kam ich nicht zurecht. Nach einigen Gesprächen mit der deutschen Organisation durfte ich jedoch wechseln, was alles zum Besseren wenden ließ. Nun war ich auf der Heysham High, einer Schule, die nah lag, nahe am Strand lag und besser ausgerüstet war, größer und mit vielen netten und lieben Mitschülern gefüllt war. Meine Fächer waren Design & Technology, Art, Maths und Media Studies. Man merkt, ich bin ein eher kreativ veranlagter Mensch, was ich dank dem englischen Schulsystem gründlich ausleben konnte. Die Schule war alles in allem gut, ich lernte Dinge, die ich in Deutschland nie gelernt hätte und der Unterrichtsstil war locker, aber wirksam. Im Generellen hatte ich den Eindruck, dass die Lehrer in England viel passionierter ihren Job auslebten, als die Lehrer hier.

Es gibt zwei Dinge, die am besten waren. Erstens: Die Lage. Im Norden Englands zu leben hat den Nachteil, nicht ganz so nah an London zu sein, jedoch den riesen Vorteil alle anderen, genau so schönen, Orte zu erkunden, die sich im Norden alle zusammen finden. So stieg man am Wochenende in den Zug und entdeckte Neues. Liverpool, das Lake District (Kendal, Windermere…), Birmingham, Edinburgh (Schottland), Leeds, Manchester, Blackpool, Kirkby Londsdale und viele mehr zählten zu den Orten, die ich in meiner Zeit mit viel Begeisterung erkundigte. Das war toll, denn ganz wider aller Erwartungen war jedes Wochenende bei mir trocken. Und das heißt in Morecambe schon eine Menge!


Das zweite, was ich auch in der Zeit zu Hause am meisten vermisse ist meine Gastfamilie. Sie bestand im Grunde nur aus meiner Gastmutter, Marilyn, die zwei erwachsene Töchter hatten, welche schon ausgezogen waren. Die ältere hatte sogar schon drei Kinder, die Enkelkinder, mit denen ich unheimlich viel Zeit verbringen durfte und die ich in mein Herz geschlossen habe wie kaum andere. Die jüngere lebte in Birmingham aufgrund ihres Studiums, hatte aber eine gewisse Vorliebe zur ihr zu Hause und war fast jedes Wochenende und jede Ferien bei uns. Was toll war, denn ich habe schon eine echte 20-Jährige Schwester, der Umgang mit meiner englischen Gastschwester war also total einfach. Wir feierten zusammen Weihnachten und Neujahr, was komplett neu und anders, aber liebevoll und schön war. Wir machten Ausflüge nach Liverpool und schauten zusammen Fernsehen (wo man nach einer Zeit nicht mal mehr merkte, dass die Sprache, die gesprochen wurde nicht die Muttersprache war). Ich verbrachte viel Zeit mit ihnen und sie waren die herzlichsten Menschen, die ich seit Langem kennen lernen durfte. Auch die Freunde meiner Gastfamilie nahmen mich freundlich auf und sie kamen alle nochmal um sich bei mir zu verabschieden. Mein Alltag war immer unterschiedlich, ich gab viel Geld aus, sah dafür jedoch viele verschiedene Orte und ich starb beinahe für die englische Mode. Ich lernte zutiefst humorvolle Leute kennen, Leute, mit denen man seine Tage versüßen konnte, ob mit einem Coffe-to-go oder einer Bootsfahrt im Lake District.

Der Heimreise blickte ich dann mit zwiegespaltenen Gefühlen entgegen. Nach einem halben Jahr war die Vorfreude auf meine Familie und Freunde natürlich enorm, der Schmerz sein neues zu Hause aber tatsächlich zurück zu lassen und dieser einmaligen Zeit ein Ende zu setzen. Und doch konnte man sich nicht wehren und mein Flug nach Frankfurt am 31. Januar stand an. Zu Hause sein ist schön. Doch England wird immer etwas sein, was mich verändert hat. Und was mir vieles im Leben gelehrt hat. Gewisse Dinge im Leben zu schätzen und alles aus einer komplett anderen Perspektive zu sehen. Und auch die Menschen, die, die einem auch in den schlechten Tagen zur Seite standen, die neu und fremd waren, aber da. England war der Hammer. Und ich würde es nochmal tun.

 

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